Grand Prix 2011: Rezensionen

Dieses Jahr gab’s vier eher kurze Beiträge zum Grand Prix.

Wie jedes Jahr gilt: Die Rezensionen enthalten Spoiler, die nicht gesondert als solche gekennzeichnet sind.

Die rote Blume

Frank Sindermann, Glulx

Eine Zauberin hat meine Braut in eine Nachtigall verwandelt und hält sie zusammen mit anderen verwandelten Mädchen in ihrem Turm fest. Im Traum erfahre ich, wie mir die rote Blume hilft, in den Turm zu gelangen.

In dieser kurzen Geschichte geht es weniger um physische Objekte als um Erinnerungen: Beim Streifen durch den Wald sammelt man Erinnerungen an die Zeit, als die Liebste noch keine Nachtigall war. Diese Erinnerungen helfen dem Spieler am Ende des Spiels.

Die Erinnerungen sind typographisch hervorgehoben und man erkennt schon, dass sie wichtig sind. Und bevor man in den letzten Raum des Turms, in dem die Vögel gefangen sind, geht, wird man gewarnt:

Du solltest erst nach oben gehen, wenn du bereit dazu bist. Von dort wird es kein Zurück mehr geben, das ist dir klar.

Aber wie man sich vorbereiten soll, das wird nicht genau klar. Hier wäre es vielleicht besser gewesen, einen Anhaltspunkt im Inventar oder in der Statuszeile zu geben, wo gesagt wird, in welchem Maße der Spieler bereit ist. Außerdem gibt es den Befehl »denke an«, der aber leider nicht genutzt wird:

> denke an liebste
Dir fällt jetzt nichts dazu ein.

Das einzige klassische, objektgebundene Rätsel, das einem den Weg zur Blume zeigt, wirkt durch den Fokus auf die Erinnerungen irgendwie fehl am Platz. Da es aber wenige Objekte gibt, ist es immerhin schnell gelöst.

Das Spiel verwendet Standard-Anweisungen. Der Spieler wird nicht erst aufgefordert, sich ein Hilfe-Menü anzusehen, in dem neue Befehle erklärt werden. Einmal muss man ein absolout unübliches Verb eingeben. Das Spiel führt den Spieler darauf hin, die Eingabe ergibt im Zusammenhang Sinn und weil man schon halb befürchtet, dass die Eingabe fehlschlägt, ist es umso wirkungsvoller, wenn alles klappt und dadurch ein Rätsel gelöst wird.

Diese gute Implementierung findet man in der eigentlichen Schlussszene, als man die Zauberin konfrontiert, nicht mehr. Hier ist nicht immer klar, was geschehen soll. Mit den Vögeln kann ich leider nichts machen, weil der Parser bei allen möglichen Eingaben zwischen den Nachtigallen und ihrem Gezwitscher disambiguisieren will.

An manchen Stellen sind die abschlägigen Standardsätze sehr knapp. Wenn man zum Beispiel jemanden nach etwas fragt, auf das er keine Antwort hat, kommt »Keine Antwort«, was natürlich sachlich richtig, aber nicht sehr schön ist.

Die Geschichte ist recht kurz und da die Aufgaben leicht sind auch flüssig und etwas linear.

Als Bonus können Rätselfreunde versuchen, alle Vögel freizulassen und ein (extrem üppiges) Brautgeschenk zu finden. Dann kann man sich mehr mit der Spielwelt beschäftigen und es kommen auch mehr Objekte ins Spiel.

Bewertung: Kurzes, flüssig erzähltes Märchen – gut

Gorgonir

Werner Rumpeltesz, Z-Code

Meister Zacharias liegt im Sterben. Es gibt aber Rettung, wenn der Spieler eine gefährliche Aufgabe meistert. Diese Story wird uns jedenfalls in der etwas langen Einleitung erzählt. Tatsächlich muss der Spieler nur ein Boot flicken und damit zur Insel Gorgonir fahren.

Gorgonir ist ein klassisches Adventure. Das wird schon deutlich, bevor die erste Raumbeschreibung ausgegeben wird:

Eine Beschränkung der Traglast der Spielfigur kann in den Einstellungen aktiviert werden.

Schön, dass die Beschränkung zu Beginn des Spiels aufgehoben ist, denn man muss schon einiges sammeln, um das Boot flott zu bekommen. Die meisten Gegenstände muss man bei Dorfbewohnern stehlen, beim Bäcker und im Wirtshaus. Dabei muss man sich alles sehr genau ansehen und auch vieles auf Verdacht mitnehmen. (Gut, vielleicht muss man die vielen Gegenstände nicht auf Verdacht mitnehmen, aber man macht es. Backformen sind unheimlich praktisch.)

Ich habe relativ häufig in der Musterlösung nachgeschaut, weil ich Dinge nicht gefunden habe. Der Spieler wird hier aber auch nicht sehr gut geführt. Zum Beispiel benötigt man Harz, das man im Wald findet, der so beschrieben wird:

Am Waldrand
Hier beginnt der Wald, den alle nur den »Eichenwald« nennen. Das liegt wohl daran, dass hier ausschließlich Eichenbäume wachsen. Dazwischen wuchern Sträucher und Büsche in vielfältigen Formen und Größen. Die wenigen verbliebenen Blätter an den hohen Bäumen schimmern in den diversen Herbstfarben, von Gelb über Orange bis hin zu Rotbraun.

Im Norden liegt eine Lichtung, direkt am Ufer des Gorgonsees.

> u bäume
Die Bäume mit ihren massiven Stämmen ragen hoch in den Himmel auf. Es ist, als hätte der Nebel sogar den Wind geschluckt. Regungslos ranken die Wipfel und Äste nach Licht und äußern nur mit vergilbten Blättern ihr herbstliches Leben. Lautlos sinken sie vereinzelt zu Boden.

> u büsche
Zwischen den Bäumen wachsen Sträucher und Büsche in diversen Größen und Formen. Einige sind mannshoch, andere nur einen knappen halben Meter. Teilweise sind sie so dicht, dass zwischen ihnen kein Durchkommen wäre.

Wegen der epischen Beschreibungen dachte ich, Bäume und Sträucher seien nur Dekoration. Sind sie auch, aber wenn man die Stämme der Bäume betrachtet, auf die in den Texten keine besondere Aufmerksamkeit gelenkt wird, sieht man das Harz.

Den Ort selbst hätte ich beinahe schon nicht gefunden, da ich den Absatz

Im Süden, in der Nähe des Waldrandes, sprießen auch einige Farne. Im Osten führt ein Pfad zurück zum Dorfplatz.

nicht so verstanden hatte, dass ein Weg nach Süden führt. Klar, »Süden« ist eine Himmelsrichtung und das deutet vielleicht auf einen Ausgang hin, aber wo Farne sprießen, ist ja meistens kein Pfad.

Sprachlich ist Gorgonir zu ungenau und zu pompös. In der Beschreibung der Bäume oben sind zum Beispiel einige Widersprüche: Kann man den Himmel sehen, wenn es neblig ist? Woran ranken sich die Äste und Wipfel? Und wieso ranken sie nach Licht? Im Nebel ist das Licht diffus. Der letzte Satz bezieht sich streng genommen auf die Äste und Wipfel, aber vermutlich sinken die Blätter zu Boden.

Die Rätsel sind auch unpräzise. Wieso kann ich das flüssige Harz nicht einfach ins Loch gießen, sondern muss es in einen Fetzen aus Sackleinen tauchen, den ich zuerst aus einem Mehlsack herausschneiden muss? Und wieso muss ich die Asche aus dem Ofen des Wirtshauses nehmen. War in der Feuerstelle keine Asche mehr?

Wenn man das Boot repariert hat, ist die Geschichte auch schnell zu Ende. Obwohl das Spiel eigentlich nur ein mehrstufiges Rätsel in einer überschaubaren Spielwelt ist, habe ich fast anderthalb Stunden damit verbracht.

Bewertung: Etwas zähe Bootsfahrt – befriedigend

Ausgerechnet Mamph Pamph!

C++ (C. Knodel), Z-Code

Mein erster Eindruck von Mamph Pamph war, dass es eine Programmierübung ist, die die Möglichkeiten des Listenschreibers ausreizt und sehr old school daherkommt: Türen müssen explizit geöffnet werden, das Inventar ist auf drei Objekte beschränkt. Nach einigen Zügen hatte ich schon keine Lust mehr und habe das Spiel erst einmal beiseite gelegt. Vielleicht hatte mich das Spiel ja auf dem falschen Fuß erwischt?

Aber auch beim zweiten Anlauf bin ich mit Mamph Pamph nicht warm geworden. Ich soll einem Gnolf (Generisches, Nicht Ordnung Liebendes Fabelwesen) sein Lieblingsessen Mamph Pamph kochen. Das Ganze spielt sich in zwei mit Objekten vollgestopften Räumen – Küche und Speisekammer – ab. Und vollgestopft heißt hier richtig voll: Auf dem Regal der Speisekammer liegen mehr als fünfzehn Lebensmittel und ungefähr noch einmal so viele andere Objekte herum. Von diesen Objekten sind einige wie der Damenschuh und der Modell-Eiffelturm nur red herrings, die das Spiel exotisch machen sollen.

Die erste Aufgabe ist es, das Rezept zu finden. In einer Schublade des Küchentischs, der in der Raumbeschreibung fast untergeht, finde ich ein Rezeptbuch:

> öffne schublade
Du öffnest die Schublade und findest ein großes Messer, ein Kochbuch und ein Streichholzbriefchen darin.

Hurra, da findest du bestimmt eine Anleitung für Mamphpamph ...

In dem Streichholzbriefchen? Und wieso wird hier Mamphpamph als ein Wort geschrieben, wo es überall sonst zwei Wörter sind? (Vermutung: Weil der Code zum Nachschlagen einfacher ist, wenn es nur ein Wort ist. Denn »Mamph Pamph« findet man im Kochbuch nicht.)

Nun muss das Rezept nachgekocht werden, und zwar Schritt für Schritt, und schnell wird klar: Richtig Kochen macht Spaß, Kochen als Textadventure ist sehr, sehr zäh. Ich habe dann auch schnell aufgegeben und die Musterlösung bemüht, die ich einfach heruntertippen wollte um meiner Pflicht als Juror Genüge zu tun. Dummerweise erzählt mir die Lösung, dass ich die Warzenbeeren aus der Pfanne nehmen soll, die ich noch nicht hineingetan habe. Da habe ich das Spiel abgebrochen und mir so vermutlich den Einsatz der Sanduhr, das Tragen einer Gasmaske und genervtes Augenrollen beim »Frönieren« (ha, ha!) erspart.

Schade, dass das Spiel so schlecht umgesetzt wurde. Im Kochbuch stehen jedenfalls noch andere Rezepte, die man, so vermute ich, auch probieren kann.

Ein Spiel sollte die interessanten Dinge in den Vordergrund stellen und die lästigen Haushaltstätigkeiten soweit wie möglich automatisieren. Das Spiel, sieht man einmal von manchen Zutaten ab, ist ja noch nicht einmal unrealistisch: In jeder Küche gibt es gewiss mehr als dreißig Gegenstände und man hat beim Kochen auch nie mehr als drei Dinge in der Hand. Aber das Ablegen des Messers und das Aufnehmen des Kochlöffels geschehen ja automatisch. Hier hätte man abstrahieren sollen: Es gibt zwar ein Messer, aber man muss es nicht explizit aufheben. Normalerweise werden ja implizit ausgeführte Dinge dem Spieler in Klammern mitgeteilt:

> schneide Zwiebel
(Du nimmst dazu erst das Küchenmesser.)
(Du legst dazu erst den Kochlöffel ab.)
Du schälst und würfelst die Zwiebel.

Aber selbst diese Notation ist bei einem leidlich komplizierten Rezept schon zu aufdringlich. Besser wäre:

> schneide Zwiebel
Du schälst und würfelst die Zwiebel.

Ob das Messer jetzt in der Hand des Spielers ist oder einfach neben dem Schneidbrett liegt, ist hier unerheblich. Wenn man das Kochen vereinfachte, die Rezepte auf wenige Zutaten reduzierte und weniger Lebensmittel zur Verfügung stellte, könnte es vielleicht interessant sein, verschiedene Gerichte aus dem Buch nachzukochen und auch mit der Tabasco-Dosis zu experimentieren. Solange das Spiel aber nur die langweiligen Handgriffe implementiert, macht es keinen Spaß.

Bewertung: Leider unspielbares Rezeptnachkochen – mangelhaft

Schießbefehl

Marius Müller, Z-Code

Der Einstieg ist schnell: Die Spielerin will mit ihrem Freund mit einem NVA-Schlauchboot über die Grenze in den Westen fliehen. Der Freund wird jedoch von Grenzsoldaten angeschossen und die Spielerin steht vor vollendeten Tatsachen.

In einer zeitlich engen Spielsequenz muss nun die Flucht durchgeführt werden. Alleine zu fliehen ist einfach, das optimale Ende, bei dem auch der angeschossene Achim sicher in den Westen gelangt, erfordert aber ein wiederholtes Durchspielen der Szene.

Lernen durch Sterben wird vom Textadventure-Codex eigentlich nicht geduldet, aber hier funktioniert es ganz gut, weil das Ziel klar ist und die Spielwelt der deutsch-deutschen Grenze überschaubar. Das Spiel ist kurz und in gut einer halben Stunde hatte ich die optimale Lösung gefunden.

Leider gibt es einige Ungereimtheiten. Die Taschenlampe ist zum Beispiel nicht richtig implementiert, die Medungen sind nur in der ersten Szene sinnvoll. Man kann durch den Fluss waten, in dem später ein Mercedes Strich Acht, kein kleines Auto, versinkt (und nicht etwa nur eintaucht). Und wieso liegt im Niemandsland zwischen den Grenzen ein Industriegebiet, in dem ein Zivilfahrzeug parkt?

Sprachlich ist das Spiel, dem Zeitdruck der Flucht angemessen, eher knapp gehalten und ist dann am besten, wenn die Lage lakonisch beurteilt wird: »Der Westen ist hässlich.« Die Rechtschreibung, insbesondere die Verwendung des Eszett, und die Absatzgliederung sollte aber noch einmal überarbeitet werden.

Mich hat verwundert, dass vom »deutschen Grenzposten« gesprochen wird, so als ob die DDR-Grenzer keine Deutschen wären. Dass den Flüchtlingen Bundeswehrsoldaten zur Hilfe kommen, ist auch nicht richtig. Die Aufgaben waren ja immer schön getrennt: Die Bundeswehr ist für den Verteidigungsfall, der Grenzschutz für die Sicherung der Grenzen zuständig.

Trotz der Ungereimtheiten und Ungenauigkeiten hat mir das Spiel aber gefallen.

Bewertung: Iterative, leicht inkonsistente Grenzflucht – gut