Handwerkliche Fehler in Spielen

Die Beiträge der letzten Grands Prix sind, wie man so schön sagt, durchwachsen. Manche gefallen einem ganz gut, andere liegen einem weniger, und nicht selten liegt das an der Geschichte, den Rätseln (oder deren Abwesenheit) und dem Stil des Autors. Einige der Spiele haben allerdings starke handwerkliche Mängel, die mich beim Spielen gestört und misslauniges Grunzen und Augenrollen hervorgerufen haben.

Weil ich offenbar gerne Regeln für andere aufstelle und weil ich denke, dass man aus den schlechteren Seiten der Beiträge auch etwas lernen kann, habe ich einmal ein paar dieser Dinge zusammengestellt. Das Augenmerk liegt hier auf den handwerklichen Fehlern, Fehlern also, bei denen die gängigen Standards missachtet wurden, bei denen mein Verständnis von Textadventures und das des Autors auseinandergehen, bei denen einfach der Spielfluss gestört wird. Die Regeln sind nicht in Erz gegossen, und manchmal mag man einen guten Grund haben, sie nicht einzuhalten oder sie sogar absichtlich zu brechen. Manche Regeln sind für mich auch selbstverständlich, für manche Autoren offenbar nicht. Diese Regeln beschreiben das, was mir als Juror aufgestoßen ist, in der Hoffnung es in zukünftigen Spielen weniger häufig zu sehen.

Am besten lernt man mit Beispielen, deshalb nenne ich die Spiele und Szenen, die gegen meinen Kodex verstoßen. Das bedeutet: Spoiler.

(Einige der Fehler habe ich gewiss auch in meinen eigenen Spielen gemacht, und auch dort sind es natürlich Fehler. Aber wer sieht schon gerne den Balken im eigenen Auge?)

Personen von Gegenständen getrennt anführen!

Dieser Punkt ist vielleicht Geschmackssache, aber ich finde es nicht sehr elegant, wenn andere Charaktere zusammen mit dem Gerümpel im Raum aufgezählt werden wie Lady Sarina in Jazz auf Tegemis. Ein weiteres Beispiel stammt aus Kai Roos’ Linear:

Du siehst hier eine orangefarbene Stange, einen Vater und einen Sohn.

Wie man NPCs besser in Raumbeschreibungen unterbringt, beschreibe ich in einem eigenen Artikel: NPCs in Raumbeschreibungen.

Dieser Satz ist mehrfach ungeschickt. Wenn ich den Satz »Du siehst hier eine orangefarbene Stange« lese, stelle ich mir eine lose, auf der Erde liegende Stange vor. Die hier beschriebene Stange ist aber Bestandteil des Straßenbahnwagens, auch wenn sie offensichtlich als eigenes Objekt implementiert wurde. Die gesonderte Nennung ist redundant, da die Stangen bereits im Haupttext der Beschreibung erwähnt werden. Die Aufzählung »einen Vater und einen Sohn« lässt den Listenschreiber von Inform durchscheinen und eine klare Verbindung zwischen den beiden Personen vermissen. Die Vermutung, dass der Sohn zum Vater gehört, liegt zwar nahe, aber es wäre schon natürlicher, vom Vater und seinem Sohn zu sprechen. Dass diese Personen zusammen mit allen anderen Objekten genannt werden, lässt beide statisch erscheinen.

Ausgänge angeben!

Der Hauptangeklagte ist hier Der 2. Mai, ein Spiel, in dem man sich nur mit Himmelsrichtungen fortbewegen kann, das aber erst im vierten Raum eine Beschreibung hat, in der die Ausgänge mit der dazugehörigen Richtung erwähnt werden. Aber auch im Kopialbuch habe ich sehr lange an der Zunderbüchse gesucht, weil mir nicht klar war, dass man vom Garten aus nach Süden gehen kann. (Himmelsrichtungen sind zwar üblich und wegen der Abkürzungen auch bequem, aber nicht der einzige Weg, Ausgänge zu implementieren. Wen das ständige »Im Westen liegt ...« stört, der muss halt »gehe ins Bad« implementieren.)

Sich an Standards halten!

Gut, Textadventures sollen kreativ sein, und Standard, das hört sich so nach genormten Schellen für Mischbatterien an. Mit Standards meine ich auch nicht, dass alle Adventures gleichförmig aussehen sollen. Dennoch liegt den meisten Adventures eine gemeinsame formelle Struktur zugrunde, die es sowohl erfahrenen als auch neuen Spielern erleichtert, sich im Spiel zurechtzufinden. Durch das Einbinden der Standard-Library von Inform oder das Benutzen von T.A.G. ist diese Struktur bereits da, und sollte auch genutzt werden. Wozu sollte man also »benutze Tür mit Schlüssel« implementieren, wenn es »aufschließen mit« bereits gibt (Die 5. Kammer), wozu die Abkürzung »a« erzwingen, aber »steige ins Auto« ignorieren (Reunion)? Und bitte nicht darauf bestehen, auch erfahrene Spieler erst einmal die neuen Verben durchlesen zu lassen, wie in der Bananenrepublik. Der erfahrene Spieler kennt das Interface und möchte nur ein Spiel spielen. Wenn es neue Verben gibt ergeben sie sich aus dem Kontext. (Meistens jedenfalls. Wenn die Syntax eines Befehls trotzdem unklar ist, kann man dem Spieler einen Hinweis geben, wenn es soweit ist. Auch die Magie des Enchantersystems wird im Bannkreis vorher erklärt, damit der Spieler weiß: Was auf einer Rolle steht, kann ich wie ein Verb verwenden.)

Wörter, die das Spiel verwendet, zulassen!

Wenn ein Geldschein nicht »Geldschein« und ein Kinderstuhl nicht »Kinderstuhl« genannt werden kann (Im Labyrinth und Der 2. Mai), ist das ein Fehler im Spiel – geschenkt. Tückischer sind Verben, die das Spiel in seinen eigenen Texten ausgibt, für die der Spieler aber oft Standardverben verwendet, etwa »zerschmettere« statt »zerbreche« oder »reiße auf« statt »öffne«. Konkrete Beispiele fallen mir gerade nicht ein, aber meine eigenen Spiele haben dieses Problem vermutlich auch öfters. (Betatests helfen!)

Zeitliche Abläufe beschreiben!

Was man bei zeitlichen Abläufen beachten sollte, beschreibt der Artikel Kritisches Timing bei textfire.de.

Das ist mir besonders bei Unterwelt aufgefallen: Die Förderkapsel, in der das Baby gefangen ist, bewegt sich unaufhaltsam auf die Müllverbrennungsanlage zu. Um zu sehen, wie weit das Baby noch entfernt ist, muss der Spieler es aktiv untersuchen. In solchen Situationen beobachtet man aber das Voranschreiten der Gefahr automatisch. Die stetige Annäherung an die Katastrophe sollte besser mit einem Dämonen realisiert werden. Ein weiteres Problem kann auftreten, wenn mehrere Dämonen nebeneinander ablaufen: Passen alle zusammen, schließen sie sich aus? In Download wird das Anschauen des Videos als ein Zug implementiert, der 35 Minuten dauert. Das Telefon klingelt über mehrere Züge hinweg, einmal je Zug, insgesamt vielleicht sechsmal. Eigenartig ist es, wenn diese beiden Ereignisse simultan ablaufen.

Sich an ein Kommunikationssystem halten!

Üblicherweise wird in Textadventures eines der beiden klassischen Kommunikationssysteme verwendet: Der Spieler kann entweder versuchen, einem NPC mit »frage« und »erzähle« Informationen zu entlocken (Ask/Tell) oder nach »rede« aus verschiedenen vorgegebenen Sätzen einen auswählen (Monkey Island bzw. Photopia). Andere Systeme sind denkbar, aber egal, welches System man nun verwendet, man sollte sich auf eins festlegen. Dann kann der Spieler sich besser darauf einstellen. Wenn ich in einer Musterlösung lese, ich solle zunächst mit einem NPC reden und Option 3 auswählen und ihn anschließend über den Karpfen fragen, fühle ich mich etwas hintergangen.

(Generell fordert die Implementierung eines Kommunikationssystems etwas Geschick. Wenn ein wichtiges Ereignis davon abhängt, dass ich den Angler über den Karpfen frage, so muss auch ein Anreiz da sein, mit ihm überhaupt über etwas zu reden. Wenn der Angler nur auf die Frage nach dem Karpfen eine Antwort hat, alle anderen Fragen aber mit einer Standardantwort abtut, so kommt der Spieler vielleicht nie darauf. Die menügesteuerte Kommunikation ist gewiss einfacher zu implementieren, aber hier ist die Gefahr, dass der Spieler einfach alle Möglichkeiten ausprobieren kann. Die einzige Möglichkeit, die Wirkung des Kommunikationssystems festzustellen, sind gewiss Betatests.)

Lange, nicht interaktive Szenen vermeiden!

So wie die in Reunion. Mit zunehmendem Spielfortschritt wird hier die Freiheit des Spielers eingeschränkt und die Handlung in seitenlange Texte gepackt, die ich lesen oder nur überfliegen kann, je nachdem. Was mir dort allerdings erzählt wird, hat nichts mehr mit meinen Aktionen zu tun. Ich als Spieler bin beim Lesen der Texte passiv, die Handlung zieht an mir vorbei, ohne, dass ich eingreifen kann.

Auch lange Texte in einer ansonsten interaktiven Umgebung vermeidet man besser. Der Text auf dem Zettel im Kopialbuch zum Beispiel ist lang und schwer zu verstehen. Das Lesen dauert technisch einen Zug, die Handlung schreitet nur unmerklich voran. Trotzdem muss ich, der Spieler an der Tastatur, innehalten, um den Text zu lesen. Meine Spielfigur ist jedoch auf einer Verfolgungsjagd. Durch das Lesen wird sofort das Tempo aus dem Spiel genommen, der Spannungsbogen zerstört.

Die Leertaste gezielt und sparsam einsetzen!

Am besten nur, wenn danach der Bildschirm gelöscht wird und eine neue Szene anfängt, was auch nicht in jedem Zug vorkommen sollte. Das ewige Leertastengedrücke und Bildschirmgelösche nervt mich. Es macht nichts spannend, es zerreißt nur den Spielfluss und entlarvt den ehemaligen QBasic-Progger. (Noch schlimmer finde ich zeitlich gesteuerte Pausen, die mir der Autor aufzwingt.)

Textadventures funktionieren meiner Meinung nach am besten so: Der Spieler gibt etwas ein, das Spiel reagiert darauf, üblicherweise in einigen wenigen Zeilen. Dann bin ich wieder dran. Ich kann in Ruhe alles, was in den letzen, sagen wir mal, drei bis vier Zügen passiert ist, durchlesen und etwas Neues eingeben. Jeder Zug wird durch den Prompt markiert.

Dinge, die der Spieler kennt, auch so beschreiben!

»Eine alte Spüle, sie sieht aus wie selbstgebaut«, so beschreibt mir Der 2. Mai die Spüle in meiner eigenen Küche. Unter normalen Umständen weiß ich aber, ob meine Spüle selbstgebaut ist oder nicht, also: »Du hast die Spüle selbst gebaut, und so sieht sie leider auch aus.« Es sei denn, es gibt eine Erklärung dafür, das nur zu vermuten: »100 Mark Ablöse hat dein Vormieter für diese Spüle verlangt. Ganz schön happig, denn sie sieht aus, als habe er sie selbst aus Sanitärschrott zusammengeschustert.« Oder der Spieler ist in einem ihm unbekannten Haus oder er hat eine schlimme Amnesie, dann ist die Vermutung in Ordnung. (So schlimm wird der Rausch dann aber nicht gewesen sein.)

Änderungen im Spiel in den Beschreibungen berücksichtigen!

Klar, die Beschreibungen von Räumen und Objekten beziehen sich immer auf deren aktuellen Zustand: Es wird gesagt, ob das Fenster auf oder zu, ob es im Raum kalt oder warm, ob die Taschenlampe aus oder an ist, ob sie schwach oder hell leuchtet. Und oft untersucht der Spieler diese Gegenstände auch, um genau dies zu erfahren. Wenn also im . Mai der Spieler gerade aus dem Bett gestiegen ist und laut Raumbeschreibung trotzdem noch immer auf dem Bett liegt und sich windet, ist das ein Versäumnis des Autors. Alle gängigen Autorensysteme bieten die Möglichkeit, Beschreibungen anzupassen und Standardsituationen wie das Liegen auf Objekten einfach zu implementieren.

Absätze gliedern!

Diese Bitte richtet sich vor allem an Autoren, die Inform benutzen: Bitte die Absätze besser gliedern. Ein Zeilenumbruch reicht zum Lesen am Bildschirm nicht, Absätze müssen eingezogen oder, besser noch, durch eine Leerzeile gekennzeichnet werden. Lange Raumbeschreibungen, wie z.B. bei Jazz auf Tegemis, lassen sich so wesentlich besser lesen.

Rechtschreibung überprüfen!

Muss man es sagen? Ja, man muss. Textadventures definieren sich durch die Textein- und -ausgabe. Sauber geschriebener, gut lesbarer Text ist also unverzichtbar. Jeder hat dabei seinen eigenen Stil, na klar, aber deswegen hat noch nicht jeder seine eigene Rechtschreibung. Die meisten Autorensysteme bieten die Möglichkeit, den Ausgabetext in eine Datei auszugeben, um diese dann mit einer Rechtschreibprüfung zu checken. Eine solche Rechtschreibprüfung kann man auch auf Transkripte von Betatestern anwenden, und die Betatester selbst sind oft noch besser als eine Rechtschreibprüfung, da sie auch Fehler im Satzbau, bei der Beugung von Verben und Adjektiven, bei der Groß- und Kleinschreibung und in der Zeichensetzung finden. Fehler in den ersten Wörtern, wie sie beim Grand Prix 2004 vorgekommen sind, motivieren nicht gerade, ein Spiel weiterzuspielen.